Offline-Events für Firmen und Hochschulen waren der Schwerpunkt des Berliner Start-ups – doch dann warf die Pandemie das gesamte Geschäftsmodell über den Haufen. 

Für das Berliner Start-up Talentspace kam die schlechte Nachricht schon, bevor Bund und Länder sich am 22. März auf strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen einigten und somit den offiziellen Lockdown verhängten: 

Bereits rund drei Wochen zuvor hatten erste amerikanische Tech-Firmen, darunter Amazon und Google, dem Veranstalter von Recruiting-Events per E-Mail mitgeteilt, dass man leider angesichts der momentanen Lage alle geplanten Treffen absagen müsse. Die Gründer ahnten: Das kann zu einer Lawine werden.

Ein Geschäftsmodell ohne Grundlage

„Von heute auf morgen fiel unser Geschäftsmodell wie ein Kartenhaus in sich zusammen“, erinnert sich Marco Eylert im Gespräch mit WirtschaftsWoche Gründer. Der Grund: Zusammen mit seinen Co-Gründern Jason Reich und Markus Dücker setzte der Berliner seit der Gründung im Jahr 2017 vollständig auf Offline-Events. 

Eylert wusste: Wir müssen handeln, sonst können wir nicht überleben.

Er und seine Co-Gründer schauten sich um, welche Software sie zur Digitalisierung ihrer eigenen Veranstaltungen nutzen könnten – und merkten erstaunt, dass es für diese Art von Recruiting-Events keine passenden online Alternativen gibt. Eine Lücke, die die drei Gründer füllen wollten: 

„Wenige Tage nach den ersten Absagen von Amazon und Google haben wir angefangen unsere Plattform weiterzuentwickeln, um unseren Veranstaltungen auch online erlebbar zu machen, so dass unsere Kunden eigenständig Recruiting-Veranstaltungen jeglicher Art und Größe online, etwa Karrieremessen oder Workshops, organisieren können.“

Vom Veranstalter zum SaaS-Start-up

Proaktiv sagten sie alle bevorstehenden Veranstaltungen ab und boten den Firmen und Hochschulen stattdessen an, diese via Internet durchzuführen. „Ein Vorschlag, auf den ein Großteil der Kunden glücklicherweise einging“, so Eylert.

Innerhalb weniger Monate gelang ihnen somit die Wandlung von Veranstalter zu SaaS-Startup. „Mittlerweile kommen 100 Prozent unseres Umsatzes aus Softwareerlösen“, sagt Eylert.

Seit August hat das Start-up eigenen Angaben zufolge über 70 Events mit über 1.000 Arbeitgebern und 80.000 Nutzern auf TalentSpace durchgeführt, darunter Stanford University, Brown University, die  WHU in Vallendar, Porsche und FAZ, die für eine Softwarenutzung-Jahreslizenz zwischen 10.000 und 130.000 Euro pro Jahr zahlen.

Für ihre Anpassungsfähigkeit und den schnellen Wandel des Geschäftsmodells haben die Gründer jetzt auch Applaus von den Investoren bekommen: Im Rahmen einer Sees-Finanzierung konnten sie vor kurzem vier Millionen Dollar einsammeln – mit 468 Capital als Lead-Investor. Axel Springer Plug and Play und Avala Capital sind ebenfalls mit an Bord.

Corona als Brandbeschleuniger

Geld, das unter anderem in die Erweiterung des Teams fließt, das unter der Corona-Krise bereits von sechs auf 21 Mitarbeiter vergrößert wurde. „Bis Ende des Jahres sollen es 30 Mitarbeiter sein“, so Marco Eylert.

Auch eine ganze Reihe anderer Start-ups tummeln sich auf dem Recruiting-Markt: Das Heidelberger Unternehmen Instaffo etwa bietet auf eine Blockchain-Technologie, um Unternehmen mit passenden Kandidaten zusammenzubringen und die Berliner Gründer von Taledo wollen mit ihrer Plattform Headhuntern Konkurrenz machen. 

Alle haben eines gemein: Sie setzen auf das Online-First-Prinzip. Ob das langfristig das Erfolgsrezept sein wird oder ob Unternehmen angesichts der Erfahrung in Zeiten der Pandemie wieder auf altbewährtere analoge Treffen setzen werden, ist noch offen.

Marco Eylert ist sich sicher: „Corona war nur ein Brandbeschleuniger für eine Entwicklung, die ohnehin längst überfällig war.“ Die Vorteile für Unternehmen würden am Ende einfach überwiegen. So müssten sie ihre Recruiter nicht mehr durch die ganze Welt schicken, um potentielle neue Mitarbeiter zu erreichen – nicht nur aus Nachhaltigkeits- und Umweltschutzgründen sei die Online-Variante langfristig die bessere. „Auch die Auswahl an potentiellen Kandidaten ist durch die wegfallende örtliche Beschränkung viel höher, da Menschen aus jeder Ecke der Welt mit den Recruitern ohne großen zeitlichen und finanziellen Aufwand in Kontakt kommen können – das macht das Verfahren viel fairer und diverser.“