Start-ups übertragen das Tinder-Prinzip auf die Jobsuche oder vermitteln Stellen per Chatbot. Sind das nur Spielereien oder wirkliche Alternativen für die Stellensuche?

Von Katja Scherer

Früher hatte Flirten etwas Heroisches: Man pirschte sich an, tauschte verborgene Blicke, wartete auf den richtigen Moment – und schlug zu. Immer in dem Wissen, dass auf den mutigen Akt einer herbe Enttäuschung folgen konnte. Heutzutage ist das entspannter: Man sitzt im Jogginganzug auf dem Sofa, scannt ein paar Profile auf dem Smartphone, greift nochmal schnell in die Chipstüte und tippt dann lässig das nächste schöne Bild an. Ist ja einen Versuch wert. Und dank Tinder auch frei von jeglicher Blamage-Gefahr.

Was beim Daten beliebt ist, wollen Jungunternehmer nun auf den Arbeitsmarkt übertragen. Truffls, JobNinja oder Jobmehappy – eine ganze Handvoll Startups sind in den vergangenen Monaten mit diesem Ziel angetreten. Teure Bewerbungsfotos, stundenlanges Grübeln über dem Anschreiben, Nicht-enden-wollendes-Lebenslauf-formatieren: Vorbei. Bei den neuen Anbietern reicht wie bei Tinder ein Wisch nach rechts für „Ich will“ oder links für „Nein, danke“ und der Algorithmus weiß Bescheid.

Der Algorithmus hilft bei der Jobsuche

Dahinter steckt auch hier der Smartphone-Boom: „Auch beim Bewerben gibt es einen klaren Trend zu ‚Mobile’“, sagt Christoph Beck, Professor für Personalmanagement an der Hochschule Koblenz. „Insbesondere junge Menschen wollen sich zunehmend via Smartphone über Jobangebote informieren.“

Matthes Dohmeyer, Clemens Dittrich und Tobias Krönke waren die ersten, denen das auffiel: Ihre App Truffls startete bereits im November 2014 für iOS und Android. Dabei melden sich die Nutzer entweder mit ihrem Xing- oder LinkedIn-Profil an oder sie laden einfach ein Foto ihres Lebenslaufs in die App. Truffls scannt die Profile und sendet den Bewerbern passende Stellenangebote zu. Der muss dann nur noch auswählen: Passt der Job oder nicht? Dabei merkt sich der Algorithmus genau, welche Stellen die Bewerber interessieren. „Unser Ziel ist es, unseren Nutzern so viel wie möglich Arbeit abzunehmen“, sagt Gründer Matthes Dohmeyer.

Inzwischen hat das Prinzip eine ganze Reihe Nachahmer gefunden – zum Beispiel das im zweiten Halbjahr 2015 in Wien gestartete Unternehmen Hokify. Auch dort können Bewerber wischend ihren Traumjob suchen. Anfang November bekamen die Gründer dafür ein sechsstelliges Investment, unter anderem vom ehemaligen Microsoft-Österreich-Chef Georg Obermeier. Im März folgte eine weitere Geldspritze in Millionenhöhe. Mit diesem Geld will das Team unter anderem den Sprung auf den deutschen Markt schaffen.

Eine andere Technologie nutzt dagegen das Kölner Startup Jobmehappy. Dort werden die Nutzer über freie Stellenangebote per Bot informiert, also ein Computerprogramm, das das Internet nach Jobanzeigen durchsucht, basierend auf den Wünschen der Nutzer. Das läuft so: Ein Bewerber öffnet die Facebook-Seite von Jobmehappy und startet eine Unterhaltung mit dem Bot. Dann tippt er eine Frage oder Schlagwörter ein, etwa „Job München IT“, und bekommt binnen Sekunden eine Trefferliste angezeigt. Dafür muss er die Seite nicht vorher ‚liken‘ – ein Vorteil, wenn der Chef von den neuen Plänen noch nichts wissen soll.

Bewerbung während der Bahnfahrt

Anfang dieses Jahres ist ein weiterer Konkurrent in München gestartet: die Gründer der App JobNinja wollen anders als Truffls vor allem Jobs vermitteln, die weniger Qualifikation erfordern – Hostess, Fahrer oder Kellner zum Beispiel. Ein guter Ansatz sagt Gero Hesse, Personalmarketing-Experte und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Territory. „In diesem Bereich ist das Tinder-Prinzip leichter anzuwenden, weil der Suchprozess nicht von so vielen Faktoren abhängt. Im hochqualifizierten Bereich stelle ich mir das schwierig vor.“

Truffls aber beweist: Es geht. Nach Angaben des Unternehmens ist der durchschnittliche Nutzer 33 Jahre alt, hat fünf bis sieben Jahre Berufserfahrung und schon mal ein Team geleitet. Gesucht werden vor allem Jobs aus Marketing, Finanzen oder Vertrieb, sagt Dohmeyer. „Bei uns hat sich das historisch so entwickelt.“ Weil Nutzer anfangs bei Xing oder LinkedIn angemeldet sein mussten, um die App nutzen zu können, haben die Gründer von Anfang an, eine andere Zielgruppe angesprochen. „Viele unserer Nutzer suchen passiv: das heißt, sie sind ganz zufrieden mit ihrem Job, wären aber bereit, zu wechseln. Anstatt sich abends hinzusetzen und Jobportale zu durchforsten, bewerben sie sich einfach nebenher, zum Beispiel beim Bahnfahren.“

Die größte Herausforderung für die Portale dürfte sein, in kurzer Zeit Reichweite aufzubauen. „Wer als Bewerber auf eine Seite kommt und nicht genug Jobs findet, ist sofort wieder weg“, sagt Personalexperte Gero Hesse. Die jungen Unternehmen kooperieren daher alle mit Jobportalen wie Monster oder Stepstone: Der Bot von Jobmehappy zum Beispiel durchsucht rund 200 Quellen nach passenden Jobs für seine Nutzer. Die Portale zahlen dann für jeden Klick auf ihre Anzeigen, für die Bewerber ist der Service kostenlos.

Truffls zeigt im Schnitt 100 000 Jobs

Hokify bietet derzeit rund 10 000 Jobs aus 15 Branchen, bei Truffls Plattform sind durchschnittlich sogar schon 100 000 Angebote online. Inzwischen werben immer mehr Recruiter direkt über die App der Berliner. „Wir haben derzeit eine vierstellige Zahl an Unternehmen, die aktiv bei uns Anzeigen schalten“, so Dohmeyer. Und auch bei Arbeitnehmern wächst die Bekanntheit: Rund 100 000 Mal wurde die App bereits heruntergeladen.

Für die Truffls-Gründer ist das Motivation genug, um weiter zu denken: Derzeit läuft nur die erste Kontaktaufnahme über die App. Sobald Bewerber und Unternehmen einen Match haben, bekommt das Unternehmen die E-Mail-Adresse des Bewerbers und kann ihn direkt anschreiben. Das soll sich in Zukunft ändern: „Wir wollen den gesamten Prozess begleiten: Von der ersten Suche bis zu Anstellung“, sagt Dohmeyer. Dafür gibt es in der App schon eine Nachrichten-Funktion, mit deren Hilfe Bewerber und Recruiter kommunizieren können. Die Gründer planen zudem eine mobile Dokumentenverwaltung: Nutzer sollen Lebenslauf, Zeugnisse und andere Bewerbungsdokumente direkt in der App speichern können. Zukünftig könnten also schon wenige Klicks reichen, um beruflich neu durchzustarten.