Das Unternehmen entwickelt umweltfreundliche Schaltanlagen für Netzbetreiber. Nun steigt der Branchenriese Eon als Investor ein.
Noch hat Nuventura erst elf Mitarbeiter und keine nennenswerten Umsätze. Doch geht die Strategie des Berliner Start-ups auf, könnte es in einem Milliardenmarkt Konzernen wie ABB und Siemens gefährlich werden: Das 2017 gegründete Unternehmen entwickelt Schaltanlagen für Stromnetze – und will dabei mit einer wartungsärmeren, vor allem aber umweltfreundlicheren, Alternative punkten. Erste Stromnetzbetreiber erproben die patentierte Technologie bereits.
Schaltanlagen gibt es alleine in Deutschland millionenfach. Sie dienen unter anderem als Sicherungen an Umspannwerken. Aktuell, so erklärt Nuventura-Mitgründer Fabian Lemke im Gespräch mit WirtschaftsWoche Gründer, wird in den meisten dieser Anlagen Schwefelhexafluorid (SF6) eingesetzt. Das künstlich erzeugte Gas isoliert elektrische Leiter voneinander und ermöglicht so eine kompakte Bauweise. Das Problem: SF6 ist hochgradig klimaschädlich – und immer wieder treten kleine Mengen aus. Lemke verweist auf Studien, wonach der jährliche Effekt auf die globale Erwärmung den CO₂-Emissionen von 100 Millionen Autos entspreche. Zudem sei die Entsorgung weitgehend ungelöst.
Nuventura setzt stattdessen gereinigte und getrocknete Luft ein. Das Novum: Obwohl die Isolationswirkung weniger stark ist, will das Start-up eine ähnliche Performance wie SF6-Anlagen auf demselben Raum erreichen. „Dazu haben wir die Schaltanlagen von Grund auf neu aufgebaut“, sagt Lemke. Entwickelt hat die Technologie sein Mitgründer Manjunath Ramesh, der vorher beim französischen Technologiekonzern Schneider Electric tätig war. Lemke hatte lange bei McKinsey Unternehmen aus dem Energiesektor beraten, bevor er vor drei Jahren das Pflegebox-Start-up Sanubi gründete.
Aufwendiger Zertifizierungsprozess
Nun hat Nuventura in einer Seed-Finanzierungsrunde einen mittleren einstelligen Millionenbetrag eingesammelt, wie WirtschaftsWoche Gründer vorab erfuhr. Unter den Investoren ist der Energieriese Eon, an dessen Accelerator-Programm „Agile“ das Start-up im vergangenen Jahr teilgenommen hat. Weitere Geldgeber sind die IBB Beteiligungsgesellschaft mit ihrem VC Fonds Technologie Berlin, das auf Energiespeicher spezialisierte Unternehmen Apex Energy Teterow sowie mehrere Business Angels.
Im Vordergrund stehe es nun, Zertifizierungen zu erlangen, sagt Lemke. Getestet werden die Schaltschränke etwa hinsichtlich ihrer Sicherheit bei Kurzschlüssen. Abgeschlossen sein sollen die aufwendigen Prüfungen im Spätsommer. Pilotversuche in der Praxis gibt es unter anderem bereits bei der Innogy-Tochter Westnetz. Interesse bekundet hat auch der Netzbetreiber EWS Schönau, außerdem will die Eon-Tochter Edis nun die Technologie testen.
Großes Marktpotenzial
Außer mit einem Verzicht auf gefährliche Klimagase wirbt Nuventura mit einer vereinfachten Handhabung. Das Start-up will außerdem Sensoren in seine Schaltanlagen integrieren – und mit einer Softwareplattform künftig beispielsweise eine vorausschauende Wartung ermöglichen. Das Marktpotenzial ist groß: Alleine in Deutschland gibt es knapp 900 Stromnetzbetreiber, darunter viele Stadtwerke. Weltweit sieht Nuventura für seine Anlagen im Mittelspannungsnetz ein theoretisches Umsatzpotenzial von derzeit elf Milliarden Euro.
Derzeit lässt das Start-up die Schaltanlagen bei Auftragsfertigern herstellen. Künftig will das Unternehmen vor allem Geld mit der Lizenzierung seiner Technologie verdienen. „Wir verstehen uns als Forschungs- und Entwicklungsabteilung vorwiegend für kleine und mittlere Unternehmen“, sagt Lemke. Auch Riesen wie Siemens oder ABB könnten theoretisch Kunden werden – mutmaßlich setzen die Konzerne aber bevorzugt auf eigene Entwicklungen. ABB etwa hat vor drei Jahren Schaltfelder mit einem neuen Isoliergas vorgestellt, das deutlich umweltfreundlicher als SF6 sein soll.