Überteuerte Workshops wollen uns erklären, wie wir übers Wochenende Unternehmerin werden. Ein eigenes Start-up aufzubauen ist zwar ein Handwerk, das jeder lernen kann – aber nicht nach Plan.
Mittwoch ist Kolumnentag bei WiWo Gründer: In ihrer Kolumne beschäftigt sich Meike Haagmans, Flugbegleiterin und Gründerin, mit dem Thema, wie sich ihre beiden Leidenschaften vereinen lassen. Wenn sie nicht gerade bei uns schreibt, bloggt Meike Haagmans über ihre Erfahrungen mit ihrem Reiseveranstalter Joventour und gibt auf ihrer Webseite viele Tipps für Nebenbei-Gründer.
Google hat mich ins Hamsterrad gesteckt. Anscheinend hat meine Recherche nach Wörtern wie „Alternative Arbeitszeitmodelle“ und „Teilzeitgründungen“ in der letzten Woche gereicht, um mich in den Kategorisierungs-Sog der Suchmaschine zu ziehen.
Durch Algorithmen analysiert, stand für die Programmierer fest: Ich muss eine unglückliche Arbeitnehmerin sein, die nun versucht, sich aus dem Job-Hamsterrad zu lösen. Und Google wäre nicht Google, wenn keine prompte Abhilfe bereitstände.
Seit dem Tag meiner Recherche versucht die Suchmaschine, mich aus der vermeintlichen Misere zu befreien. Überall erreichen mich Angebote, wie ich es schaffen kann, wieder zufrieden und frei zu werden. Inklusive der Wiederherstellung meiner Work-Life-Balance.
So vielfältig Google auch ist, interessanterweise scheint es aber für mich nur einen einzigen Ausweg zu geben: Ich solle mein eigenes Ding gründen. Und praktischerweise werden mir direkt eine Vielzahl an Lösungsansätzen mitgeliefert, die mir helfen werden, mein eigenes großes Business zu starten.
Ob Seminare, Online- und Offline Konferenzen, Meetups, Camps, Coaches, Mastermindgruppen oder Journals – alle versprechen mir, innerhalb kürzester Zeit eine erfolgreiche Unternehmerin zu werden. Und ein besserer Mensch gleich noch dazu. Das passende Mindset wird sogar auch mit geliefert.
Immer wieder wird mir suggeriert, wie einfach eine Gründung ist und wie schnell man erfolgreich sein wird. Dass eine Gründung Freiheit und Selbstbestimmung bedeutet. Ein Anbieter verspricht mir in einem Wochenendseminar das gesamte Know-How, das ich für den Aufbau eines Startups brauche: „Vom Businessplan bis zum Exit“. Und das in weniger als 48 Stunden.
Irgendetwas muss ich falsch gemacht haben. Ich bin diesen Monat seit genau fünf Jahren geschäftsführende Gesellschafterin eines Reiseveranstalters. Und werde nach wie vor täglich mit Situationen konfrontiert, die mein Businessplan nie vorgesehen hat. Dann tausche ich mich mit anderen Unternehmern aus und schaue, wie ich das Problem lösen kann. Je länger wir am Markt sind, umso komplexer wird die Unternehmensführung. Kleine Firma, kleine Sorgen, große Firma – große Sorgen. Wie schön wäre es da, in 48 Stunden sorgenfrei zu sein.
Und dann ist in dem Angebot auch noch die Thematik des allseits beliebten Exits inkludiert. Schon alleine um das Wort Due Diligence überhaupt aussprechen zu können, hat es bei mir ein Semester gedauert. Davon mal abgesehen, dass ich mir nur ansatzweise vorstellen kann, was dieser Prozess überhaupt alles beinhaltet.
Warum nur habe ich das Geld für mein MBA-Studium so aus dem Fenster geschmissen, wenn ich das ganze Wissen so einfach in einem Wochenendseminar hätte haben können?
Je mehr ich mich mit den Werbeanzeigen beschäftige, umso paradoxer finde ich sie. Immer öfter werde ich mit den Wortlauten ‘Selbstbestimmung’, ‘Freiheit’ und vor allem ‘Achtsamkeit’ (bezogen auf die körperliche Variante) konfrontiert.
Gerade beim letzten Begriff frage ich mich, was die Achtsamkeit mit einer Firmengründung zu tun hat? Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man als Gründer in der Start- und Wachstumsphase alles andere als achtsam auf seinen Körper ist. Weil man einfach keine Kapazitäten dazu hat. Weder zeitlich und schon gar nicht mental.
Auch die Begriffe ‘Freiheit’ und ‘Selbstbestimmung’ sind völliger Unsinn. Ich muss kein Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen haben, um zu wissen, dass Geld durch Kunden generiert wird. Folglich bestimmen die Kunden den neuen, angeblich selbstbestimmten Arbeitsrhythmus und nicht mehr der Vorgesetzte – das ist der einzige Unterschied. Natürlich kann ich entscheiden, ob ich lieber morgens, mittags, abends oder nachts meine Aufgaben erledige. Vermutlich aber wird es zu allen vier Tageszeiten sein.
Am Erschreckendsten bei diesen Anzeigen finde ich allerdings die Vielzahl und die Preise. Anscheinend wächst der Markt enorm und Menschen in Hamsterrädern sind bereit, viel Geld für einen schnellen Ausweg zu zahlen. Wer plant, sein Mindset auszubessern und eine neue Work-Life-Balance sucht, zahlt schnell mal eine mittlere dreistellige Summe.
Ist eine Gründung aber wirklich die einzige Lösung, um seiner Unzufriedenheit am Arbeitsplatz zu entfliehen? Wohl kaum. Denn nicht in jedem steckt ein Unternehmer. Und vielleicht gibt es durchaus Personen, für die ein strukturiertes und organisiertes Arbeitnehmerleben perfekt ist. Trotzdem darf auch diese Gruppe sich mal in der Arbeitswelt unwohl fühlen und ins Zweifeln kommen. Möglicherweise hilft ein Arbeitgeberwechsel oder eine Teilzeitstelle manchmal mehr, als etwas zu machen, was eine Suchmaschine vorschlägt.
Ich möchte niemanden vom Gründen abhalten. Ein eigenes Start-up aufzubauen, ist mit das Spannendste, was man erleben darf. Aber es ist ein Prozess. Und Prozesse dauern. Man kann das Gründen lernen, aber nicht an einem Wochenende.
Dazu gibt es ganze Studiengänge oder mehrmonatige Businessplanwettbewerbe. Deutschland investiert viel, um ein Gründerland zu werden. Das kostenlose Angebot ist groß. Aber im Gegenzug werden auch Leistungen verlangt. Und wer diese nicht erbringen kann, sollte seine Geschäftsidee mehr als ein Mal überdenken, statt sich nur um sein Mindset und um Achtsamkeit zu kümmern.
Andreas
Hallo Meike,
Alle Dinge entstehen im Geist, sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung – Buddha.
Dein Beitrag zeugt von einem zu korrigierenden Unverständnis der relevanten Zusammenhänge von Leistung, Erfolg und Achtsamkeit. Ich zitiere Dich auf der 2. Seite:
“… im Gegenzug werden auch Leistungen verlangt. Und wer diese nicht erbringen kann, sollte seine Geschäftsidee mehr als ein Mal überdenken, statt sich nur um sein Mindset und um Achtsamkeit zu kümmern.”
Einer der genialsten Innovatoren überhaupt und sehr erfolgreicher Unternehmer, Steve Jobs, Ex-CEO von Apple, war ein großer Freund von Achtsamkeit. Meditation war ein fester Bestandteil in Jobs’ Alltag. Er hatte schon damals begriffen, was zahlreiche Studien in den Jahren darauf belegten: Meditation reduziert Stress, steigert die Konzentrationsfähigkeit, fördert die geistige und körperliche Gesundheit und hilft, Entscheidungen zu treffen. Die Vorzüge der Achtsamkeit hat Steve Jobs sich zunutze gemacht – mit großem Erfolg. Er sagte einmal:
“Wenn man einfach dasitzt und beobachtet, merkt man, wie ruhelos der Geist ist. Wenn man versucht, ihn zu beruhigen, wird es nur noch schlimmer. Mit der Zeit wird er jedoch ruhiger, und wenn dies geschieht, bleibt Raum, subtilere Dinge zu hören – das ist der Moment, in dem die Intuition sich entfaltet, man Dinge klarer sieht und mehr der Gegenwart verhaftet ist. Der Geist arbeitet langsamer, und man erkennt eine enorme Weite im Augenblick. Man sieht so viel, was man bereits hätte sehen können.”
Regelmäßiges Meditieren ermöglichte Jobs, seine Gedanken zur Ruhe zu bringen, um sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren und Ablenkungen auszublenden.
Wer mehr zur Relevanz von Achtsamkeit in der Wirtschaft wissen will: http://www.achtsame-wirtschaft.de/
Meike Haagmans
Hallo Andreas,
vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Beitrag zu lesen! Ich verstehe deinen Kommentar sehr gut, denn ich kenne sehr viele Menschen, die sich dem Thema Achtsamkeit zugewandt haben. Das Beispiel Steve Jobs ist dazu natürlich auch das Paradebeispiel.
Aber Achtsamkeit allein reicht leider nicht, um ein Unternehmen zu gründen und aufzubauen. Und das ist es, was ich anprangere – die Suggestion, dass ich mithilfe eines Achtsamkeitsworkshops nicht nur meine innere Ruhe finde, sondern auch über Nacht zum erfolgreichen Unternehmer werde. Ich bin mir sicher, dass es langfristig hilft, aber doch nicht in 48 Stunden. Und ich glaube, dass du auch nicht darauf hinauswolltest. Grundsätzlich denke ich auch, dass regelmäßiges Meditieren nicht nur Steve Jobs, sondern auch jedem anderen (egal ob Student, Arbeitnehmer oder -geber, Unternehmer oder Rentner) hilft, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren und Ablenkungen auszublenden. Trotzdem muss ich als Unternehmerin verstehen, was ich tue und kann mich nicht ausschließlich auf meine innere Ruhe verlassen
Viele Grüße,
Meike
Karsten Butze
Ich muss Meike zustimmen, dass das Gründen sehr eigene Ansprüche hat, die als angestellter Arbeitnehmer nicht einmal ansatzweise gedacht werden. In einem kooperierenden Unternehmen konnten wir erhebliche Probleme der Gründer miterleben, nur durch die Tatsache bedingt, dass sie sich als Unternehmer sahen obwohl sie von ihrem Verhalten und Denken eher Arbeitnehmern zuzuordnen waren. Letztendlich sind sie dann doch wieder ins Arbeitnehmerlager gewechselt.
Als Buddhist und Unternehmer möchte ich den Glauben aber auch die Freiheit und die Last des Unternehmers nicht missen.
Achtsamkeit hilft mir Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, meine Resourcen im Auge zu behalten, sich fokussieren erleichtert mir die Konzentration, Meditation den Platz in der Welt zu bestimmen, Wertigkeiten zu erkennen, den eigenen Weg festzulegen und zu leben, Das Ziel vor sich zu sehen. Intuition und Visionen zu entwickeln.
Jedoch ist es schon so, dass dass das StartUp-Leben viele Schmankerln hat die so garnicht zum Unternehmer passen wollen: Finanzbuchhaltung für einen Techniker, Finanzamtsprüfungen, Berufsgenossenschaft, Pakete packen, Mitarbeiter bewerten und ggf. entlassen, Businesspläne ständig überarbeiten, Mit Investoren verhandeln, Staubsaugen, Regale aufbauen, Mitarbeiter motivieren, mit Forschungseinrichtungen verhandeln. Da hilft dann nur noch Atmen, Meditation, Gelassenheit und innere Ruhe.
Melanie
ich hatte damals anfangen müssen – ohne zu wissen “wie das überhaupt geht”
nun bin ich seit 6 Jahren selbstständig, nur im Kleinen Rahmen aber eine mittelgroße Eigentumswohnung könnte ich mir schon kaufen, vor 6 Jahren hieß es noch:
Hartz IV (= 690 Euro, davon gingen 480 Euro Miete ab)
Also man kann auch Glück haben..
was natürlich nicht eher nicht der Regelfalls ist
wollte nur mutmachen: MIT Businessplan und Vorbereitung ist es natürlich extrem vorteilhafter 😉